Nord- und Mittelamerika

In die Vereinigten Staaten von Amerika flüchteten ca. 140.000 jüdische Verfolgte aus dem Deutschen Reich. Aus Südniedersachsen emigrierten Jüdinnen und Juden auch nach Kanada, Mexiko, Kuba und in die Dominikanische Republik.

 
Vereinigte Staaten von Amerika (USA)

Die mit Abstand meisten Emigrierenden suchten Schutz in den USA. Auch aus Göttingen und Umgebung flüchteten zahlreiche Jüdinnen und Juden nach New York, Los Angeles, Chicago und in andere US-Städte. In der Regel führte sie die Reise aus einem deutschen oder anderen europäischen Hafen über New York in ihre Aufnahmestadt. Dabei  nutzten sie entweder ihre eigenen finanziellen Reserven oder sie wurden von Hilfsorganisationen unterstützt.

Die verheißene Stadt: New York

Ab 1937 fanden mehr als 180 jüdische Bürgerinnen und Bürger aus dem südlichen Niedersachsen in Nordamerika eine neue Heimat.1 Für über 90 Prozent der Verfolgten führte die Einreise in die Vereinigten Staaten über New York. Nur ein geringer Anteil immigrierte über kanadische oder kalifornische Häfen. Entscheidend für die Einwanderung in die USA war die Länderquote. Seit 1891 legte eine Kommission diese Quote fest. Ab 1924 wurde im Immigration Act der Anteil der Immigranten an der Gesamtbevölkerung, bezogen auf ihre Herkunftsländer im Jahr 1891, zur Bemessungsgrundlage der Quote. Damit bevorzugten die Behörden mitteleuropäische gegenüber osteuropäischen und asiatischen Einwanderern, da deren Bevölkerungsanteil 1891 niedriger gelegen hatte.

Deutsche Quote bis 1936 nur zu einem Viertel genutzt

Die deutsche Quote umfasste 25.957 mögliche Immigrantinnen und Immigranten. Nach der Okkupation Österreichs 1938 erhöhten die Behörden den Wert auf 27.370 Personen. Noch 1937 wählten aber lediglich 11.520 Menschen aus dem Deutschen Reich die Option USA, das entsprach 42,1 Prozent der Quote. Nach 65,3 Prozent im Jahr 1938 wurde die deutsche Quote dann 1939 zu 100 Prozent genutzt.2 Dieser starke Anstieg in nur zwei Jahren war auf die zunehmende Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich zurückzuführen. Dementsprechend vergab die amerikanische Einwanderungsbehörde zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich Visa an deutsch-jüdische Flüchtlinge.

Dass nicht schon früher eine größere Anzahl Verfolgter durch die Quote in die USA einreisen konnte, lag an den weiteren Einschränkungen durch den Immigration Act. Die "quota-immigrants" brauchten die Bürgschaft eines US-Bürgers, ein sogenanntes Affidavit. Das zuständige Ministerium erteilte daher bevorzugt Visa an Verwandte bereits Eingebürgerter sowie an Frauen und Kinder von Eingewanderten. Bis zur Jahreswende 1936/37 reichte schon der Verdacht, ein Antragsteller könnte dem Sozialsystem „zur Last fallen", um den Antrag auf Ausstellung eines Visums abzulehnen.

Verwandte stellten Bürgschaften

Neben den Visa nach der Einwanderer-Quote vergab der Immigration and Naturalization Service des amerikanischen Department of Labor noch weitere Sichtvermerke. So waren Besuchs- bzw. Touristenvisa beliebt, da sie den Auswanderungswilligen die Möglichkeit eröffneten, sich selbst um Bürgschaften zu bemühen. Außerdem gab es Visa, die nicht nach der Quote erteilt wurden. Von dieser Ausnahme profitierten politische Flüchtlinge, aber auch Hochschulangehörige, deren Einreise auf Grund ihrer Qualifikation erwünscht war. Transitvisa vergab die Behörde nur nach intensiver Prüfung des Antragstellers. Man befürchtete – nicht zu unrecht – dass Betroffene in ihrer Not in die USA einreisen und die angegebene Weiterreise nicht in Angriff nehmen würden.

In New York mussten die Ankommenden zunächst auf Ellis Island einen Gesundheitscheck über sich ergehen lassen. Diese Prüfungen führte die Einwanderungsbehörde auch in anderen Landungshäfen durch. Nur wer nicht ernsthaft erkrankt war, durfte einreisen. Von den deutsch-jüdischen Einwanderern ließ sich der weitaus größte Teil in New York nieder. Zeitweise waren 40 Prozent der Einwohner Manhattans jüdisch, heute wohnen im Großraum der Metropole über 1,5 Millionen Jüdinnen und Juden. Die in der NS-Zeit aus West- und Mitteleuropa Geflüchteten lebten überwiegend in den Stadtteilen Washington Heights, West-Bronx und Forest Hills in Queens.

Auch familiäre Netzwerke sorgten für Aufnahme

Die Bevorzugung bestimmter Stadtviertel hing eng mit den Familienschicksalen zusammen. In die Metropole am Hudson ausgereiste Kinder oder Eltern sorgten dafür, die bis dahin in Deutschland zurückgelassenen Familienangehörigen nachzuholen. Vor Ort beschafften sie die benötigten Bürgschaften. Wenn sie nicht selbst in der Lage waren, die Verfolgten zu unterstützen, kontaktierten sie Hilfsorganisationen, die Spender suchten. Oft waren z.B. die Reisekosten nur mit deren Hilfe aufzubringen. Aus Dransfeld, Hann. Münden und Göttingen siedelten nach und nach die verwandtschaftlich verbundenen Familien Schwalm, Katzenstein und Löwenstein nach New York über. Sie fanden Aufnahme in Washington Heights.

In dem im äußersten Nordwesten Manhattans gelegenen Stadtteil (Borough) war die jüdische Gemeinde New Yorks mit der dynamischsten Entwicklung der 1930er Jahre zuhause. Hudson Heights, eines der Viertel des Bezirks, hatte zu dieser Zeit den höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil eines Stadtteils in Manhattan. Wegen der Zuwanderung der jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland wurde der Stadtteil nach dem Krieg auch „Frankfurt on the Hudson" genannt. Adolf Katzenstein verließ Dransfeld mit seiner Ehefrau Alice und den Schwiegereltern Levi und Meta Schwalm im Januar 1937. Als Getreide- und Futtermittelhändler auf Mobilität und Kontakte zur ländlichen Umgebung angewiesen, war Adolf Katzenstein stark von den Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäftsleute betroffen. 1936 konnte der Betrieb nicht weitergeführt werden, so dass der Entschluss zum Verkauf und zum Verlassen des Ortes gefasst wurde.

Über die Niederlande in die USA

So wie viele andere Auswandererfamilien zogen Katzensteins mit den Schwiegereltern zunächst nach Hamburg. Man versprach sich durch die Nähe zum amerikanischen Konsulat größere Chancen, an Visa zu gelangen. Doch auch in der vermeintlich anonymen Großstadt grassierte der Antisemitismus. Meta und Levi Schwalm reisten daher nach Amsterdam weiter, Adolf und Alice Katzenstein blieben mit den Kindern Eva und Fritz zunächst in Hamburg. Nach dem Pogrom im November 1938 flüchteten Margarete Löwenstein, die Schwester von Alice Katzenstein, ihr Ehemann Ludwig, Sohn Heinz und Schwiegermutter Fanny, aus Göttingen ebenfalls nach Hamburg.3 Familie Löwenstein besaß bereits ein Affidavit und eine für Anfang Dezember 1938 gebuchte Schiffspassage. Durch die Schließung des amerikanischen Konsulats nach dem Pogrom verfielen die Tickets, da die Konsularbeamten nicht mehr rechtzeitig Visa in die Pässe stempeln konnten. Löwensteins gelang es dennoch, die benötigten Sichtvermerke für die Passage zu bekommen. Levi Schwalm hatte in den Niederlanden neue Fahrkarten für die Schiffsreise organisiert. Dort hatte auch Familie Katzenstein, schon im Oktober 1938, die Visa für ihre Einreise in die USA erhalten. Katzensteins fuhren Anfang Februar 1939 mit der Zaandam von Rotterdam ab. Nach zwei Wochen trafen sie in New York ein. Gut einen Monat später folgte ihnen Familie Löwenstein, ebenfalls über Rotterdam auf der Veendam, dem Schwesterschiff der Zaandam. Katzensteins und Löwensteins ließen sich vorübergehend in der 171. Straße West in New York nieder, in Washington Heights.

Weitere Familienmitglieder wurden nach New York nachgeholt

Schließlich emigrierten im Oktober 1939 auch Levi und Meta Schwalm nach Nordamerika, in diesem Fall von Antwerpen aus. Levi Schwalm hatte alle Passagen bei derselben Schifffahrtsgesellschaft gebucht. Nachdem das Ehepaar Schwalm ebenfalls in Washington Heights, in der Fort Washington Avenue, eine Wohnung gefunden hatte, beeilte sich der ehemalige Lehrer der jüdischen Schulen in Bovenden und Dransfeld, seine im Deutschen Reich zurückgelassenen Brüder Hermann und Moritz sowie deren Familien in die USA nachzuholen. Zuerst schaffte es Hermann Schwalm aus Kassel, der 1939 mit seiner Familie zeitweise bei Bruder Moritz in Hann. Münden gelebt hatte, nach Amerika zu gelangen.

Erst im Sommer 1941 flüchteten Moritz Schwalm, Ehefrau Sara und Sohn Henry über die Lissabon-Route in die USA. Obwohl es den Familien zuvor gelungen war, einige Ersparnisse – vermutlich über die Niederlande – nach Amerika mitzunehmen, bedurfte es der finanziellen Unterstützung durch das American Jewish Joint Distribution Committee (JDC), die inzwischen völlig mittellose Familie Schwalm aus Hann. Münden herauszuholen. Die zuvor transferierten Beträge dienten der Wohnungsbeschaffung für inzwischen vier Familien und das ältere Ehepaar Schwalm, die alle in Washington Heights unterkamen. Große Rücklagen waren nicht vorhanden. Um die insgesamt 17 Familienmitglieder zu ernähren, mussten alle Arbeitsfähigen jeden nur möglichen Job annehmen.

Nur wenige lokale Schwerpunkte der Auswanderung in die USA

Neben New York gab es nur wenige Städte in den USA, in die jüdische Bürgerinnen und Bürger aus der Region Göttingen emigrierten. Dazu gehörten Los Angeles (u.a. Familie Graupe aus Hann. Münden und Familie Faibuschewitz aus Göttingen), Chicago (u.a. Familie Löwenthal aus Hann. Münden) und Baltimore (Familie Rosenbaum aus Rosdorf). Viele Rentner und Rentnerinnen verbrachten ihren Lebensabend in Florida, vor allem Geflüchtete, die zuvor in New York gelebt hatten.

 
Karibik

Die karibischen Inseln waren keine bevorzugten Emigrationsziele für die jüdischen Verfolgten aus Göttingen und Umgebung. Bislang ist nur das Beispiel von Werner und Hermann Meyerstein aus Bremke bekannt, die beide in die Dominikanische Republik geflüchtet waren. Angehörige der Meyersteins lebten noch um die Wende zum 21. Jahrhundert in der Dominikanischen Republik. Walter und Else Meyer4 aus Hann. Münden saßen nach ihrer Flucht aus Frankreich 1940 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Havanna auf Kuba fest, später emigrierten sie in die USA.

Flucht ins Paradies? Sosúa in der Dominikanischen Republik

Hermann Meyerstein war Schlachter mit eigenem Geschäft in seiner Heimatstadt Bremke, außerdem führte er einen Stand auf dem Wochenmarkt in Göttingen. Er belieferte das Göttinger Gewerkschaftshaus "Volksheim", Gastwirtschaften und landwirtschaftliche Güter. Doch schon kurz nach Beginn der NS-Zeit geriet er ins Fadenkreuz der neuen Machthaber. Dafür war nicht allein seine jüdische Konfession, sondern auch sein Engagement im sozialistischen Reichsbanner zur Zeit der Weimarer Republik ausschlaggebend.

Mehrere antisemitische Zeitungsartikel gegen Familie Meyerstein

Antisemitische Hetzartikel in der Parteipresse, der Wirtschaftsboykott gegen jüdische Kaufleute – u.a. musste Hermann Meyerstein seinen Marktstand aufgegeben und konnte seine Ware nicht mehr am Göttinger Schlachthof abliefern – sowie die ungerechtfertigte Denunziation eines Bremker Lehrers wegen angeblicher Tierquälerei sorgten dafür, dass der Geschäftsumsatz kontinuierlich sank und sich der Betrieb der Schlachterei ab 1935 kaum noch lohnte.

Der Niedergang des Geschäfts hatte auch Auswirkungen auf die Zukunftsplanungen von Werner Meyerstein.5 Als ältester Sohn des Schlachtermeisters sollte er den Betrieb zukünftig übernehmen. Nach Abschluss der Volksschule in Bremke begann Werner Meyerstein daher eine Lehre in der väterlichen Metzgerei. Trotz Boykott und Verfolgung wäre der Abschluss der Ausbildung im Zeitraum von drei Jahren möglich gewesen, wegen der schlechten Auftragslage war die Durchführung des Lehrverhältnisses aber nicht mehr zu gewährleisten. So brach Werner Meyerstein die Lehre Mitte 1935 ab. Da die nichtjüdischen Schlachter keinen jüdischen Auszubildenden aufnehmen wollten oder konnten, befasste er sich von nun an mit Auswanderungsplänen. Für über ein Jahr lang ging Werner Meyerstein daher in den Umschulungsbetrieb Landwerk Neuendorf in Fürstenwalde, wo er landwirtschaftliche Fähigkeiten erlernte. Die Stelle war ihm vom Hilfsverein der Juden in Deutschland, Filiale Hannover, vermittelt worden.

Trotz landwirtschaftlicher Umschulung kaum Möglichkeiten zur Emigration

Während Werner Meyerstein nach abgeschlossener Fortbildung von Gut Neuendorf an eine andere Betriebsstätte vermittelt worden war, anschließend in einer Göttinger Tiefbaufirma Arbeit fand und vor seiner Emigration noch einmal nach Fürstenwalde ging, hatte sein Vater die Schlachterei in Bremke 1937 endgültig aufgeben müssen. Nach kurzem Aufenthalt in Göttingen zog Hermann Meyerstein nach Kassel. Die Ereignisse der Pogromnacht vom 09. November 1938 schließlich veranlassten Werner Meyerstein, seine Bemühungen zur Emigration zu forcieren. Im März 1939 gelang es ihm, auf Basis seiner landwirtschaftlichen Umschulung ein Visum für Großbritannien zu erhalten. Im Februar 1939 reiste er aus Deutschland nach England ab.

Schon 1938 wäre Werner Meyerstein beinahe die Flucht vor der Verfolgung gelungen. Er hatte einen Platz in einer jüdischen Siedlung in Argentinien erhalten. Die Jewish Colonisation Association (ICA) kaufte Farmland in dem südamerikanischen Staat auf, das an jüdische Siedler vergeben werden sollte. Als landwirtschaftlich Ausgebildeter hatte er gute Chancen, in das Programm aufgenommen zu werden. Nach den gescheiterten Verhandlungen von Èvian im Sommer 1938 ließ die argentinische Regierung aber keine Flüchtlinge mehr ins Land.

In England interniert

Auch in England waren die Geflüchteten nicht überall gern gesehen. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden sie nicht mehr als jüdische Verfolgte, sondern als Deutsche, und damit als Feinde, betrachtet. Werner Meyerstein fand zunächst Arbeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb, in dem er nach eigener Aussage gerade genug zum Überleben verdiente. Im Juni 1940 wurde er interniert. So wie viele andere Männer auch, machte er eine Odyssee durch mehrere Lager. Zunächst brachte man ihn in die Nähe von Dover, dann kam er ins bekannte Hutchinson Camp. Von Manchester über die Isle of Man ging seine Reise bis ins Entlassungslager Springfield bei London. Seine Internierung dauerte von Juni bis Oktober 1940.

Diese negativen Erfahrungen Werner Meyersteins im englischen Exil veranlassten seinen jüngeren Bruder, von der geplanten Flucht nach England Abstand zu nehmen. Wolfgang Meyerstein befand sich zum Zeitpunkt der Internierung seines Bruders im Landwerk Neuendorf. Auch er hatte eine landwirtschaftliche Umschulung ansolviert und suchte einen Weg ins Ausland. Da nach Kriegsbeginn die meisten Grenzen verschlossen blieben, schaffte er den Absprung nicht mehr rechtzeitig. Er wurde von Berlin aus 1943 nach Auschwitz deportiert. Wolfgang Meyerstein überlebte das Lager, verstarb aber bereits wenige Jahre nach der Befreiung an den Folgen der Lagerhaft. Sein Bruder Werner zog die Konsequenzen aus seiner Internierungserfahrung. Noch im Oktober 1940 emigrierte er von England aus in die Dominikanische Republik.

Werner Meyerstein holte auch den Vater nach Sosúa

In England hatte Werner Meyerstein Olga Schlesinger aus Wien kennengelernt. Sie war ihrem Bruder nach Großbritannien gefolgt. Die Geschwister wollten mit einem Siedlervisum der Dominican Republik Settlement Association (DORSA) in die neu gegründete Siedlung Sosúa auswandern. Der Bruder Olgas entschied sich aber, in England zu bleiben. Den frei gewordenen Platz übernahm nun ihr Verlobter Werner Meyerstein. Am 19. Oktober 1940 begann ihre Reise in die Karibik. In Glasgow bestiegen sie die Cameronia, einen Dampfer der Ancor Line. Nach neun Tagen erreichten sie ihre erste Station New York. Schon für den kurzen Aufenthalt bis zur Weiterreise nach Ciudad Trujillo (heute: Santo Domingo) benötigte man ein Durchreisevisum für die USA. Schließlich kam das junge Paar – Werner war 21, Olga 19 Jahre alt – am 05. November 1940 in der Dominikanischen Republik an. Sie waren die ersten jüdischen Siedler, die in Sosúa heirateten.

Die DORSA hatte in einigen europäischen Ländern nach möglichen Kandidaten für die neue Siedlung im Norden der Dominikanischen Republik gesucht. So gab es auch in England ein Komitee, dem u.a. der ehemalige Leiter des Hilfsvereins der deutschen Juden angehörte, das vor allem nach landwirtschaftlich geschulten Kräften Ausschau hielt. Auf diese Weise gelangten Werner Meyerstein und Olga Schlesinger in die Karibik. Schon bald nach Ankunft und Ansiedlung bemühte sich Werner Meyerstein darum, seinen Vater aus Deutschland herauszuholen. Mutter Selma war bereits 1935 verstorben, Schwester Gerda nach Palästina geflüchtet. Hermann Meyerstein befand sich Ende 1940 in Kassel. Durch die eskalierenden Ereignisse des Krieges drängte die Zeit. Schließlich gelang es, Hermann Meyerstein über Portugal nach Sosúa zu lotsen. Der Schlachtermeister wurde bei der DORSA aber offiziell nicht als Siedler geführt.

Trotz beruflichem Erfolg in die USA emigriert

Mit zwei Kompagnons gründete Hermann Meyerstein, unter dem Dach einer Siedler-Kooperative, eine Wurstfabrik. Obwohl das Unternehmen recht erfolgreich startete und nach wenigen Jahren zwei weitere Siedler sowie mehrere Einheimische angestellt wurden, um die Nachfrage bewältigen zu können, betrachtete der Bremker die Karibik von Anfang an nur als Durchgangsstation. Als Tochter Gerda 1947 aus Palästina in die USA emigrierte, stand für Hermann Meyerstein der Entschluss zum Umzug nach Nordamerika fest. Er ließ sich in Chicago nieder, reiste aber häufig in die Karibik, um seine Enkelkinder zu sehen. Nach ihrer Hochzeit 1940 bekamen Werner und Olga Meyerstein zwei Töchter. Die jüngere gemeinsame Tochter führte noch in den 1990er Jahren erfolgreich eine Boutique in der zur Touristenhochburg gewachsenen ehemaligen jüdischen Siedlerkolonie. Die meisten Geflüchteten allerdings betrachteten die Karibikinsel lediglich als Wartesaal für die Weiterreise in die USA oder nach Israel. Werner Meyerstein blieb in Sosúa. Er verstarb am 05. Juni 2001 und ist auf dem Friedhof der Gemeinde beigesetzt.


Fußnoten

  1. Das Gedenkbuch für die jüdischen Büger im Landkreis Göttingen führt 134 in die USA Geflüchtete, vgl. dazu Schäfer-Richter / Klein: Die jüdischen Bürger, S. 308.
  2. Vgl. Brita Eckert (unter Mitarbeit von Werner Berthold und Mechthild Hahner): Die jüdische Emigration aus Deutschland 1933-1941. Die Geschichte einer Austreibung (Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main unter Mitwirkung des Leo Baeck Instituts, New York), Frankfurt am Main 1985, S. 189. Die Zahlen zitiert nach Herbert A. Strauss: Jewish Emigration from Germany, Bd. II, S. 359.
  3. Ausführliche Darstellungen der Verfolgungsvorgänge gegen die Familie Löwenstein bei Bruns-Wüstefeld, Lohnende Geschäfte, S. 145.
  4. Hinsichtlich der Flucht der Unternehmerfamilie Meyer aus Hann. Münden wird auf die in Arbeit befindliche Publikation zum Thema Verfolgung und Flucht der jüdischen Bevölkerung aus Göttingen und Umgebung verwiesen.
  5. Die Angaben zur Flucht Hermann und Werner Meyersteins basieren auf den Angaben aus der Entschädigungsakte für Werner Meyerstein, NLA-HStAH, Nds. 110 W Acc. 31/99 Nr. 218569.

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