Asien und Ozeanien

Asien und Australien-Ozeanien waren keine bevorzugten Fluchtziele für verfolgte Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich. Auch aus dem südlichen Niedersachsen verschlug es nur wenige Menschen dorthin. Die weiten Entfernungen, die hohen Passagekosten, die klimatischen und hygienischen Bedingungen sowie die häufig unsicheren politischen Verhältnisse hinderten viele Geflüchtete an der langen Reise nach Fernost.

 
China - Shanghai

Als 1938 die meisten Länder ihre Grenzen für die Verfolgten aus Deutschland schlossen, gewann ein Zufluchtsort an Bedeutung, der zuvor aufgrund der Entfernung und der prekären Lebensbedingungen kaum ins Blickfeld gerückt war: Shanghai.

Seit 1938 war die chinesische Metropole der einzige Ort, für den die Geflüchteten bis 1941 kein Visum benötigten. So ging man auch in den Beratungsstellen für Auswanderer dazu über, Verfolgte mit dem Gedanken an die lange Reise in den fernen Osten vertraut zu machen. Nach den Verhaftungen infolge des Novemberpogroms 1938 und den Einweisungen der meisten jüdischen Männer in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen wurde die Lage für ihre Familien im Deutschen Reich immer gefährlicher. Gestapo und SS verlangten von den Verhafteten Nachweise ihrer geplanten Emigration, ansonsten drohte man ihnen mit erneuter Inhaftierung. Da es häufig zu körperlichen Übergriffen während der Haft kam, war den Betroffenen die Aussichtslosigkeit ihrer Lage bewusst. Familienangehörige unternahmen daraufhin alles, um an die benötigten Papiere für die Flucht zu kommen.

Etwa 18.000 jüdische Geflüchtete aus Mitteleuropa, davon ca. 7.000 aus dem Deutschen Reich, suchten in der chinesischen Metropole Schutz vor der NS-Verfolgung. Die Stadt war in ein International Settlement, in dem viele englische und amerikanische Geschäftsleute lebten und das durch den Municipal Council verwaltete wurde, ein französisches Viertel und chinesische Wohngebiete aufgeteilt. Seit Dezember 1937 waren die chinesischen Viertel sowie der Stadtteil Hongkou durch japanische Truppen besetzt. Hongkou war im Zuge des japanischen Angriffs stark zerstört worden. Dieser Wohnbezirk war Teil des International Settlement, in ihm lebten auch über 100.000 chinesische Kriegsflüchtlinge.1

Von Bremerhaven nach Shanghai

Die Besatzungsmacht begann im Sommer 1939 damit, den freien Zuzug in die Stadt zu regulieren, im Mai 1943 richtete sie in Hongkou ein jüdisches Ghetto ein. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 01. September 1939 konnten die jüdischen Flüchtlinge noch ohne Einschränkungen von deutschen Häfen aus nach Ostasien reisen. So fuhren z.B. drei Passagierschiffe des Norddeutschen Lloyd regelmäßig von Bremerhaven aus nach China. Mit Kriegsbeginn schränkten die großen deutschen Reedereien ihre Überseepassagen aus Sicherheitsgründen zunehmend ein. Bis zum Sommer 1940 wurden daher verstärkt die italienischen Häfen Triest und Genua genutzt. Danach blieb nur noch die Transsibirische Eisenbahn als Fluchtweg.

Das Ehepaar Katz - ein Beispiel aus der Region

Viele dieser Ereignisse und Umstände betrafen auch Oskar Katz aus Hannover. Der Zigarrenhändler hatte Meta Proskauer aus Hann. Münden geheiratet und führte in Hannover zwei gut gehende Tabakwarenläden. Mit Beginn der NS-Zeit verschlechterten sich auch in Hannover, wie überall im Deutschen Reich, die Verhältnisse für jüdische Geschäftsleute. Nach Umsatzeinbrüchen und Problemen mit den nichtjüdischen Vermietern musste Oskar Katz zunächst ein Geschäft aufgeben. Tochter Margot wurde 1936 im Alter von 16 Jahren aus Sicherheitsgründen in die USA geschickt. Ausgrenzung und Übergriffe machten auch vor jüdischen Jugendlichen nicht halt, so dass sich viele Eltern dazu entschieden, ihre Kinder zu Verwandten ins Ausland zu bringen oder entsprechende Angebote von Hilfsorganisationen anzunehmen.

Aber erst mit dem Pogrom im November 1938 erfuhr Oskar Katz das wahre Ausmaß antisemitischer Gewalt. Vom 11. November bis zum 04. Dezember 1938 inhaftierte ihn die Gestapo im Konzentrationslager Buchenwald. Am Hauptbahnhof von Weimar, im sogenannten Tunnel von Weimar, misshandelte die SS die jüdischen Männer.2 Oskar Katz wurden mit einem Gewehrkolben die Zähne ausgeschlagen, „so dass ich bis heute keine Zähne mehr besitze".3 Nach seiner Entlassung blieb dem Hannoveraner Geschäftsmann nicht viel Zeit. Die Gestapo in Hannover hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, „schnellstens zu verschwinden", wenn er nicht wieder nach Buchenwald wolle. Sein zweites Geschäft war bereits "zwangsarisiert" worden, nun mussten in größter Eile der gesamte Hausrat und die Möbel verschleudert werden, dafür erhiet das Ehepaar nur 160 RM. Danach flüchteten beide von Hannover nach Hann. Münden, in die Geburtsstadt von Meta Katz. Die Drohung der Gestapo in Hannover war damit aber nicht aus der Welt. Seit 1937 war ein NS-Hardliner Bürgermeister in der Drei-Flüsse-Stadt, so dass viele jüdische Bürger und Bürgerinnen Hann. Münden schon verlassen hatten. Oskar und Meta Katz kamen in einem Wohnhaus unter, das sich noch im Besitz der Familie Proskauer-Katz befand. Das Zeitfenster zur Flucht aus dem Deutschen Reich wurde immer schmaler, auch weil Schmucksachen und andere Wertgegenstände im Frühjahr 1939 im Pfandleihhaus in Kassel abgegeben werden mussten und die finanziellen Mittel immer geringer wurden.

Ohne gültige Visa bestanden für das Ehepaar nur noch zwei Möglichkeiten der Flucht. Entweder sie gingen „illegal" über die Grenze in eines der deutschen Nachbarländer, was aber dort lebende Verwandtschaft – oder zumindest Kontakte zu Fluchthelfern – vorausgesetzt hätte, oder sie mussten die Kosten der teueren Passage nach Shanghai aufbringen. Oskar und Meta Katz bezahlten schließlich mit dem letzten Ersparten nicht nur die eigene Passage, sondern übernahm auch die Kosten für die weitgehend mittellosen Geschwister von Oskar Katz aus Hannover. Es kam ihnen zugute, dass der Bruder Metas in Hann. Münden, Julius Proskauer, noch über Rücklagen verfügte, mit denen er die Ausreisenden unterstützte. Ende Januar 1939 wurde bei der Generalagentur des Norddeutschen Lloyd Bremen in Hannover eine Passage auf der Scharnhorst gebucht. Die an Julius Proskauer ausgestellte Rechnung über 8.270 RM belegt, dass knapp die Hälfte der Passagekosten aus einem Rückreisedepot bestand, das der Hann. Mündener Altwarenhändler bei Ankunft und Verbleib der Reisegruppe in der chinesischen Metropole zurückerhalten sollte.

Die Geflüchteten lebten in Sammelunterkünften

Bis alle Ausreisepapiere beisammen waren, vergingen nochmals fast drei Monate. Schließlich legte die Scharnhorst am 18. April 1939 in Bremerhaven ab. An Bord auch die fünf jüdischen Verfolgten aus Hann. Münden und Hannover. Wie erging es den Geflüchteten nach wochenlanger Seereise in der ungewohnten Umgebung der chinesischen Hafenstadt? Zunächst war es  von Vorteil, dass sie von Hilfsorganisationen wie der Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS) betreut wurden.

Andernfalls wären die Quartiersuche und die Versorgung mit Lebensmitteln zum Problem geworden. Die meisten der im International Settlement aufgenommenen Geflüchteten wohnten in Sammelunterkünften. Hier fehlte es zwar an Privatsphäre, aber man konnte die Gemeinschaftverpflegung nutzen. Dennoch waren die Bedingungen im Wohnbezirk alles andere als günstig. Die hygienischen Zustände unter Kriegsbedingungen waren nicht mit den gewohnten Verhältnissen in Deutschland vergleichbar. Auch das extreme Klima, Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit, machte den Geflüchteten zu schaffen.

Schwierige klimatische Verhältnisse

Das hatte auch für das Ehepaar Katz Folgen. Der durch die kurze, aber extrem brutale Haft in Buchenwald bereits schlechte Gesundheitszustand des 1893 geborenen Oskar Katz verschlechterte sich in Shanghai nochmals. Wegen starker Sehschwäche fand er während der gesamten Zeit in China keine Arbeit. Ohne finanzielle Mittel konnte er aber die dürftige Wohnsituation in der Sammelunterkunft in der Ward Road nicht verbessern. Nach der Abriegelung eines Teils des International Settlement am 18. Mai 1943 durch die japanische Besatzungsmacht konnte das Ehepaar das nun existierende Ghetto nicht mehr verlassen.

Zwar können die Lebensbedingungen im Stadtteil Hongkou nicht mit denen in den jüdischen Ghettos der von den Deutschen besetzten Länder Osteuropas verglichen werden – es gab eine gewisse Freizügigkeit und keine lebensbedrohende SS-Bewachung – doch sorgten die hygienischen Zustände für Krankheiten und Seuchen. Auch Meta Katz erkrankte schließlich so schwer, dass sie 1947 in Shanghai verstarb. Kurze Zeit später gelang es Tochter Margot Katz, ihren Vater Oskar in die USA zu holen.

 
Australien

Nach Australien flüchteten etwa 9.000 Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich. Bis 1938 waren die Aufnahmebedingungen sehr restriktiv, dann erließ die Regierung eine Quote von 5.000 Aufnahmeberechtigten. Durch den Kriegsausbruch und den langen gefährlichen Seeweg konnte die Quote aber nicht ausgefüllt werden. Hinzu kam, dass Australien als britisches Dominion kriegsbeteiligt war und damit deutsche Geflüchtete als enemy aliens betrachtet wurden.

Auch aus Göttingen und Umgebung sind nicht viele jüdische Bürgerinnen und Bürger bekannt, die nach Australien emigrierten. Einer der Wenigen war Otto Löwenthal aus Hann. Münden. Der Sohn des Textilhändlers Hermann Löwenthal lebte bereits ab 1934 in Berlin, da in Hann. Münden keine Aussicht auf eine erfolgreiche Übernahme des väterlichen Geschäfts bestand. In der Reichshauptstadt lernte er in einem Hascharah-Betrieb zum Schlosser um, anschließend war die Emigration nach Palästina vorgesehen. Dazu kam es aber nicht mehr.

Aus unbekannten Gründen verzögerte sich die geplante Abreise nach Palästina, dafür fand Otto Löwenthal überraschend eine Anstellung als Schweißer in einer Berliner Metallwarenfabrik. Da er aber weiterhin in der Umschulungsstelle in Niederschönhausen wohnte, war er permanent mit den Emigrationsplänen der anderen Verfolgten konfrontiert. So dürfte sein Entschluss zur Auswanderung schon früh festgestanden haben. Nachdem er noch für ein halbes Jahr als Heizer im Jüdischen Altersheim Berlin gearbeitet hatte, verließ er noch vor dem Pogrom Anfang November 1938 Deutschland.4

Familienangehörige wurden deportiert

Hermann Löwenthal hatte das Textilgeschäft in der Langen Straße 63 in Hann. Münden über 50 Jahre lang geführt. Nach dem Boykott brachen die Umsätze, erzielt durch intensive Reisetätigkeit von Vater und Sohn in der Region, völlig zusammen. Der Firmengründer lebte bis zu seinem Tod 1938 in Göttingen von Erspartem. Die drei Schwestern Otto Löwenthals, Irma, Lilly und Käthe, wurden 1941 und 1942 aus Kassel und Duisburg in die Ghettos von Riga und Warschau verschleppt. Irma Golnick, geb. Löwenthal, überlebte das Rigaer Ghetto und das KZ- Stutthof. Sie kam 1945 für kurze Zeit nach Hann. Münden, um etws über das Schicksal ihrer Familienangehörigen in Erfahrung zu bringen. Nach ihrer Rückkehr nach Kassel erfuhr sie durch das Rote Kreuz, dass ihre Söhne in Riga von der Roten Armee befreit, Ehemann und Tochter hingegen kurz vor ihrer Befreiung in einem Lager ermordet worden waren. Erst gegen Ende der 1950er Jahre konnten die inzwischen erwachsenen Söhne zu ihrer Mutter nach Kassel ziehen.

Otto Löwenthal hatte derweil einen weiten Weg zurückgelegt. Nachdem er von Deutschland nach England geflüchtet war, schiffte er sich bereits wenige Tage später in Southampton auf der Duchess of Bedford ein. Anstelle des Tickets nach Palästina hatte er von den Lockerungen in der australischen Aufnahmepraxis gehört und ein Visum für den Fünften Kontinent erhalten. Seine Umschulung und die Berufspraxis als Schlosser kamen ihm dabei zugute. Nach seiner Ankunft in Montreal in Kanada musste Otto Löwenthal den amerikanischen Kontinent bis nach Vancouver an der Pazifikküste per Bahn durchqueren. Dort bestieg er die SS Aorangi nach Sydney. Nach seiner Reise um die halbe Welt ließ sich Otto Löwenthal in Sydney nieder, wo er bis 1946 als Schweißer arbeitete. Dann machte er sich mit der Fabrikation von Gürteln und Knöpfen selbstständig.


Fußnoten

  1. Ausgewählte Literatur zum Thema „Fluchtpunkt Shanghai": Georg Armbrüster/ Michael Kohlstruck/ Sonja Mühlberger (Hrsg.): Exil Shanghai 1938-1947. Jüdisches Leben in der Emigration, Berlin 2000; W. Michael Blumenthal: Mit 13 Jahren nach Shanghai, in: Heimat und Exil. Emigration der deutschen Juden nach 1933, Frankfurt 2006; Frank Stern: Wartezimmer Shanghai, in: Das Exil der kleinen Leute. Alltagserfahrungen deutscher Juden in der Emigration (Hg. Wolfgang Benz), München 1991; Astrid Freyeisen: Shanghai. Rettung am „schlechtest möglichen Ort" der Welt?, in: Metropolen des Exils (Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 20), München 2002; Wilfried Seywald: Journalisten im Shanghaier Exil 1939-1949, Salzburg 1987.
  2. Vgl. hierzu auch www.buchenwald.de/498/
  3. Erläuterungen von Oskar Katz zu seinen Wiedergutmachungsansprüchen vom 26.02.1954, NLA-HStAH, Nds. 110 W Acc. 14/99 Nr. 100738 Blatt 9. Die weiteren Angaben zum Schicksal des Ehepaares Katz entstammen dieser Akte aus dem BEG-Verfahren.
  4. Angaben zu Otto Löwenthal auf Basis der Dokumente aus der Entschädigungsakte, NLA-HStAH, Nds. 110 W Acc. 14/99 Nr. 115191.

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